Asher Engel wurde 1938 als einziges Kind von Munio und Gusta Engel in Czernowitz (Cernivtsi), das damals zu Rumänien gehörte, geboren. 

Asher war erst ein Jahr alt, als der Krieg ausbrach, und er erinnert sich an fast nichts aus seiner frühesten Kindheit. Seine Erinnerungen an den Krieg beginnen, als er drei Jahre alt war. Was er über das Leben seiner Familie vor dem Krieg weiß und von Ereignissen, die zum Krieg führten, hat er von seinen Eltern gehört.

Alte Postkarte der Czernowitz
Alte Postkarte der Czernowitz "Choral" Synagoge
Czernowitzer
Czernowitzer "Choral"-Synagoge, der Czernowitzer Tempel. Sie wurde 1877 erbaut und am 9. Juli 1941 von den Nazis in Brand gesteckt.
Ron Moshe. 1909.

Asher erzählte uns, dass seine Familie eine wohlhabende und sehr bekannte Familie in der Stadt war, eine Familie, die immer die jüdische Gemeinde in der Stadt unterstützte. Er sagte, sie hatten ein schönes Leben, aber alles begann sich für die Familie zu ändern, als die Nazis an die Macht kamen. Die Nazis beschlagnahmten den gesamten Besitz seiner Familie und deportierten ihn und seine Eltern mit dem Zug in das Durchgangslager Mogilev, wo sie bis zum Ende des Krieges blieben.

Deportation von Juden in das Ghetto von Mogilev, darunter auch der Rebbe von Nadborna .
Deportation von Juden in das Ghetto von Mogilev, darunter auch der Rebbe von Nadborna .
Gemeinfrei.

Obwohl Asher erst drei Jahre alt war, erinnert er sich deutlich an den entsetzlichen Geruch in dem Waggon, in dem sie deportiert wurden. Viele Menschen waren auf engstem Raum zusammengepfercht, es stank nach Fäkalien und Schweiß und man hatte buchstäblich das Gefühl, zu ersticken. Das Schlimmste war, dass die Fahrt mehrere Tage dauerte. Diese Erinnerung begleitete Asher noch lange nach dem Ende des Krieges.

„Viele Jahre lang“, sagte er, „fühlte ich mich schrecklich, wenn ich mit anderen Menschen zusammen war. Überall, wo ich hinging, hatte ich das Gefühl, nicht sauber zu sein, und ich dachte, die Leute würden sich in meiner Gegenwart unwohl fühlen. Ich fing an, mich zu riechen und verhielt mich seltsam. Das zu überwinden, hat mich viel Zeit gekostet, und es ist mir nur mit Hilfe einer psychotherapeutischen Behandlung gelungen.“

Er fuhr fort: „Schließlich hielt der Zug an, aber nicht im Lager, sondern einige Kilometer davor. Erst später wurde uns klar, dass die Nazis es geradezu genossen, uns zu quälen. Die großen Schneemassen waren nach dem Winter getaut und ein Gebiet mit tiefen Sümpfen war entstanden. Wir mussten mit all unseren Habseligkeiten eine lange Strecke zum Lager laufen. Das Ziel der Nazis war, dass jeder während des Marsches seine Sachen zurückließ, damit sie – die Nazis – all diese Gegenstände einsammeln konnten. Natürlich wurde jeder, der stehen blieb und nicht weiterging, erschossen. Es gab eine Reihe von Menschen, die einfach im Schlamm ertranken. Ich war etwas älter als drei Jahre und hatte keine wirkliche Chance zu überleben. Der einzige Grund, warum ich überlebte, war, dass es gute Leute gab, die mich trugen, obwohl es schwer zu gehen war, und mich von einem zum anderen weiterreichten, bis wir ankamen.

Das Durchgangslager Mogilev war berüchtigt für die schrecklichen hygienischen Zustände und die Misshandlungen, denen die Häftlinge ausgesetzt waren. Meistens wurden die Gefangenen dort ohne Nahrung oder Vorräte zurückgelassen und waren gezwungen, irgendwie zu überleben, was in der Regel mit ihrem Tod endete.

Juden im Ghetto Mogiljow , die zur Zwangsarbeit gezwungen wurden.
Juden im Ghetto Mogiljow , die zur Zwangsarbeit gezwungen wurden.
Rudolf Kessler. Bundesarchiv (Sig.: Bild 101I-138-1083-20).
Das Denkmal in Mogiljow  zum Gedenken an die im Ghetto ermordeten Juden.
Das Denkmal in Mogiljow zum Gedenken an die im Ghetto ermordeten Juden.
Vadim Akopyan

Die Überlebenschancen der Familie Engel waren schlecht, aber als sie im Lager ankamen, waren sie von der Reaktion der Menschen dort überrascht. Das Wohlwollen, das die Familie der jüdischen Gemeinde vor dem Krieg entgegengebracht hatte, wurde ihnen nun entgolten. Als Gusta Engel noch in Czernowitz lebte, war sie als großzügige Philanthropin bekannt, die gerne allen half, die ihr die Hand reichten. Ihre guten Taten waren nicht vergessen worden. Als die Juden, die sich bereits im Lager befanden, erfuhren, dass sie und ihre Familie angekommen waren, sorgten sie dafür, dass sie gemeinsam mit den Großeltern ein eigenes Haus erhielten. „Die Tatsache, dass wir ein Haus für uns alle hatten", sagte Asher, „half uns wirklich, die Situation zu ertragen. Es war wunderbar zu sehen, dass die Menschen nicht vergessen, wenn man Gutes tut."

Asher erzählte, dass seine Eltern auf der Rückseite des Hauses eine Art Tunnel angelegt hatten, der mit einem Versteck verbunden war. Über diesen Tunnel konnte er das Haus verlassen oder sich verbergen, wenn die Nazi-Soldaten nach jüdischen Kindern suchten. „Kinder, die gefunden wurden, wurden mitgenommen und wir haben sie nie wieder gesehen. Ich verstand die Situation sehr gut, und ich versteckte mich oft an diesem Ort.”

„Es war furchtbar schwierig, im Lager etwas zu essen zu bekommen. Sie gaben uns einfach nichts zu essen, aber andererseits war es extrem gefährlich, rauszugehen und Essen zu holen. Die Nazi-Wachen warteten und hielten Ausschau nach Juden, die sich hinausschlichen und nach Essen suchten, um sie zu erschießen. Ich war klein und schmächtig, so dass ich fast unbemerkt hinausgehen konnte. Eigentlich hatte ich nicht wirklich Angst. Ich ging hinaus und stahl von den Feldern außerhalb des Ghettos, vor allem Kartoffeln und Rüben, die als Viehfutter angebaut wurden."

Asher war dem Tod zum ersten Mal ausgesetzt, als im Lager eine Typhusepidemie ausbrach. Seine Großeltern erkrankten und seine Mutter hatte keine andere Wahl, als sie aus dem Haus zu bringen, damit sich der Rest der Familie nicht ansteckte. Kurze Zeit später starben die Großeltern und wurden zusammen mit den anderen Ghetto-Opfern in einen Graben geworfen. „Es war ein schockierender Anblick.  Das kann ich nicht vergessen", sagte Asher.  Als Munio Engel erkrankte, hatte Asher große Angst, dass seinem Vater das gleiche Schicksal wie seinen Großeltern widerfahren würde. Doch wie durch ein Wunder fand seine Mutter einen Arzt, der ihn behandelte und es schaffte, ihn zu heilen, auch wenn er andere gesundheitlichen Problemen zurückbehielt, die ihm das Leben schwermachten.

Eines der seltsamen und unerklärlichen Dinge, die Asher in dieser Zeit erlebte, ereignete sich, als er etwa viereinhalb Jahre alt war. Ganz plötzlich und auf wundersame Weise lief ihnen ein Hund zu. Asher wusste nicht, wer der Besitzer war oder woher das Tier kam, aber der Hund blieb eine Zeit lang bei ihnen. Asher mochte den Hund und nannte ihn „Schlumpi".  Schlumpi wurde sein bester Freund. Asher unterhielt sich mit ihm und spielte mit ihm, und Schlumpi brachte der Familie Essen. Er holte Essensreste aus dem Speisesaal der Nazi-Offiziere und brachte sie Asher und seinen Eltern. 

„Das war wie ein Wunder für uns. Ein paar Mal habe ich dadurch sogar Fleisch gegessen. Dieser Hund war so besonders, dass er, wenn er die Nazi-Soldaten kommen hörte, anfing zu bellen und mir so Zeit gab, mich im Graben hinter dem Haus zu verstecken. Leider bellte der Hund einmal sehr laut, und einer der Soldaten schoss und tötete ihn. Das war ein traumatisches Ereignis für mich. Es fällt mir schwer, das zu sagen, aber dieses Ereignis war für mich noch schlimmer als der Tod meiner Großeltern."

Im Winter 1944 begann die sowjetische Armee ihren Vormarsch in Richtung Deutschland und befreite auf ihrem Weg das Lager Mogilev. Nach einer langen Reise kehrten die Engels in ihr Haus in Czernowitz zurück. Sie lebten dort bis 1960, dann wanderte Asher nach Eretz Israel aus.  Er trat in die IDF (die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte) ein und diente in der Armee als Fallschirmjäger. Kurz darauf war es ihm vergönnt, eine Familie in Shavei Zion zu gründen, wo er auch heute noch lebt.

Asher zeigt den jungen Freiwilligen Daniel und Hila seine Uhrensammlung.
Asher zeigt den jungen Freiwilligen Daniel und Hila seine Uhrensammlung.
Asher während des Interviews in seinem Haus in Shavei Zion mit seiner Tochter Tamar und den jungen Freiwilligen Hila und Daniel.
Asher während des Interviews in seinem Haus in Shavei Zion mit seiner Tochter Tamar und den jungen Freiwilligen Hila und Daniel.

Am Ende des Gesprächs war es Asher wichtig, mit einer Botschaft zu schließen. Er sagte: „Es gibt auf der Welt nichts Vergleichbares wie Israel, unser Heimatland!  Es ist wichtig, dass wir es bewahren und dafür sorgen, dass es sich entwickelt, nicht nur durch das Bauen von Häusern und durch wirtschaftliches Wachstum, sondern auch durch die Liebe zueinander und die Sorge um die anderen.  Dies ist der einzige Ort, den wir Heimat nennen können!"