Shoshana Neumann wurde 1931 in der rumänischen Stadt Czernowitz in der Bukowina geboren. Sie war das mittlere von drei Kindern - es gab einen älteren Bruder und eine jüngere Schwester; die Familie war ultraorthodox.  Ihr Vater, der Rabbiner der Gemeinde, brachte Shoshana von klein auf Hebräisch bei und sagte ihr: "Wir Juden müssen nur Hebräisch können, damit wir die heiligen Bücher lesen können".

Shoshana wurde in den Kindergarten Bais Yaakov geschickt, wo sie Segenssprüche, Gebete, Schabbatlieder und auch zionistische Lieder lernte.  Sie erinnert sich besonders an ein Sommerlager, das sie mit sieben Jahren besuchte und in dem sie lernte, die spätere israelische Nationalhymne "Hatikva" zu singen.

Nach dem Kindergarten besuchte Shoshana eine rumänische Grundschule.  Ihr Vater erklärte ihr, dass sie die rumänische Sprache lernen müsse, um sich integrieren zu können, obwohl er und ihre Mutter selbst Jiddisch sprachen und kein Rumänisch konnten. Über ihre besondere Beziehung zu ihrer kleinen Schwester Esther sagt Shoshana: "Ich habe sie sehr geliebt.  Wir liefen immer mit umschlungenen Armen herum. Alle Kinder waren eifersüchtig auf uns. Meine Schwester war so schön, ich war so stolz darauf, ihre große Schwester zu sein."

"Eine meiner stärksten Erinnerungen an den Kriegsbeginn war gleich am Anfang der Bombardierungen. Esther war plötzlich verschwunden, und die ganze Familie rannte sofort los, um sie zu suchen. Schließlich fanden wir sie versteckt unter dem Bett eines der christlichen Nachbarn, zitternd vor Angst vor dem Krachen der Explosionen. Ich hatte mir solche Sorgen um meine Schwester gemacht, und mir schon das Schlimmste ausgemalt. Ich war sehr erleichtert, als ich sie sah."

Ein Gemälde von Shoshana Neumann, das die Situation im Ghetto darstellt: „Die Grenze des Ghettos verschloss das Ende unserer Straße. Hohe Bretter versperrten den Durchgang und markierten den engen Bereich des Ghettos, in dem etwa 50.000 Juden zusammengepfercht waren.
Ein Gemälde von Shoshana Neumann, das die Situation im Ghetto darstellt: „Die Grenze des Ghettos verschloss das Ende unserer Straße. Hohe Bretter versperrten den Durchgang und markierten den engen Bereich des Ghettos, in dem etwa 50.000 Juden zusammengepfercht waren."

Als das Ghetto in Czernowitz errichtet wurde, befand sich das Haus von Shoshanas Familie innerhalb der Grenzen des Ghettos.  Shoshanas gesamte Großfamilie lebte außerhalb des Ghettos, und als die Nazis ihre Häuser beschlagnahmten, zogen sie in Shoshanas Haus. "Ich hatte keine andere Wahl, als auf einem großen Mehlsack zu schlafen. Es war nicht bequem, aber ich war so froh, dass die ganze Familie zusammen war, dass ich sogar jede Nacht aufblieb, um zu hören, wie mein Vater den Rest der Familie Tora lehrte".

In dieser Zeit spielte Shoshana eine wichtige Rolle.  Da sie das einzige Familienmitglied war, das Rumänisch sprach, und weil deutsch aussah, versteckte sie ihren gelben Stern und schlich sich in das christliche Viertel der Stadt. Aufgrund ihres Aussehens und ihrer Sprache schöpfte niemand Verdacht, wenn sie sich in die Warteschlange für Öl oder Brot einreihte. "Ich war für meine Familie die einzige Verbindung zur Außenwelt", sagt sie. Nach einem Monat im Ghetto wurde die Familie nach Transnistrien, in das Ghetto Bershad, geschickt. Man sagte ihnen, dass sie dort auf den Feldern arbeiten und die landwirtschaftlichen Erzeugnisse an die deutsche Armee abliefern sollten.

Die Shoah in Czernowitz – die Deportationen nach Transnistrien.
Die Shoah in Czernowitz – die Deportationen nach Transnistrien.
Yad VaShem

Etwa sechs Wochen lang waren sie die lange Strecke nach Bershad zu Fuß unterwegs, oft in knietiefem Schlamm.  Mit Ausnahme von Shoshana erkrankte während dieser beschwerlichen und schrecklichen Reise die ganze Familie an Typhus. Shoshanas Vater starb etwa eine Woche nach ihrer Ankunft an der Krankheit. Kurze Zeit später starb Shoshanas Schwester Esther qualvoll, und drei Tage später starb ihr Bruder. In weniger als einer Woche hatte Shoshana fast ihre gesamte Familie verloren.  
Ihre Mutter hatte überlebt, war aber auf beiden Ohren ertaubt. Während dieser Zeit hatte Shoshana alles getan, um ihrer kranken Familie zu helfen: Sie schöpfte Wasser und sammelte Maiswurzeln, um damit zu heizen, aber es war vergeblich. Nach dem Tod des Vaters und der Geschwister lebten Shoshana und ihre Mutter in einem Zimmer mit neun Waisenkindern. Um nicht zu verhungern, wagte Shoshana es, das Ghettogebiet zu verlassen, um Sonnenblumenkerne zu sammeln.

Eine Gruppe von transnistrischen Waisenkindern (Dezember 1944).   Die Waisenkinder wurden aus den Ghettos und Lagern nach Iași und von dort nach Bukarest (Rumänien) gebracht. Die Russen verschickten diese Gruppe zu ihrem Unglück dann nach Odessa, wo die Bedingungen äußerst schlecht waren. Einem Teil der Gruppe gelang die Flucht nach Czernowitz und von dort nach Bukarest.
Eine Gruppe von transnistrischen Waisenkindern (Dezember 1944). 
Die Waisenkinder wurden aus den Ghettos und Lagern nach Iași und von dort nach Bukarest (Rumänien) gebracht. Die Russen verschickten diese Gruppe zu ihrem Unglück dann nach Odessa, wo die Bedingungen äußerst schlecht waren. Einem Teil der Gruppe gelang die Flucht nach Czernowitz und von dort nach Bukarest.

Im Februar 1944 erreichte die rumänische Armee das Ghetto und evakuierte alle Waisenkinder in die Stadt Iași. Die noch lebenden Juden in Iași nahmen die Kinder herzlich auf, kümmerten sich um alles, was sie brauchten, und beschäftigten sie. Shoshanas Mutter blieb bis Juli in Bershad. Shoshana erzählt, dass nach der Befreiung von Czernowitz im Juli 1944 alle Waisenkinder in Odessa in der Sowjetunion gesammelt wurden. Shoshana beschreibt die schwierigen Bedingungen: "In Odessa herrschte eine schlimmere Hungersnot als im Ghetto.  Die Russen waren mit den Kämpfen um Berlin beschäftigt und schickten die meisten Vorräte dorthin. Wir wurden dem Hungertod überlassen.“

Erst etwa ein Jahr später, im April 1945, kehrte Shoshana nach Hause zurück. Dort fand sie ihre Mutter, die auf sie gewartet hatte.  Die Leiden während des Krieges hatten ihre Mutter erschöpft und verwirrt zurückgelassen. „Der Krieg hat meine Mutter gebrochen“, sagt Shoshana.   „All diese erschütternden Ereignisse, all die Verluste, die sie erlitten hatte, machten es meiner Mutter unmöglich, mich großzuziehen. So kam es, dass ich in verschiedenen Waisenhäusern untergebracht wurde, bis ich schließlich 1950 nach Israel einwanderte".

Ein Familienfoto von Shoshana mit ihren Enkelinnen und Urenkelinnen.
Ein Familienfoto von Shoshana mit ihren Enkelinnen und Urenkelinnen.

Zum Ende des Gesprächs ist es Shoshana wichtig, eine Botschaft an die jüngere Generation zu richten.  Sie sagt: "Schätzt die Tatsache, dass ihr hier in Israel geboren wurdet, in unserem Land und in einer Welt, in der ihr nicht ständig ums Überleben kämpfen und Dinge durchmachen müsst, die ich durchgemacht habe". Heute lebt Shoshana in Haifa. Sie hat fünf Enkelkinder und vier Urenkelkinder. "Dies ist mein wahrer Sieg, die Familie, die ich gegründet habe. Das zeigt, dass das Leben allemal stärker ist als der Tod".